Wenn du niedergeschlagen bist, wenn dir die Tage immer dunkler vorkommen, wenn dir die Arbeit nur noch monoton erscheint, wenn es dir fast sinnlos erscheint, überhaupt noch zu hoffen, dann setz dich einfach aufs Fahrrad, um die Straße herunterzujagen, ohne Gedanken an irgendetwas außer deinem wilden Ritt. Getreu diesem Ausspruch von Arthur Conan Doyle gestaltete die tagesaktuelle Redaktion von Radio Corax ein Magazin. Nicht aus dem Studio, sondern vom Radio Kiosk – einem temporären „Studio“ am Reileck.
Neben Aktivisten der Critical Mass und der Plattform halle-verkehrt.de, fand sich auch ein Vertreter der Stadt Halle ein. Im Laufe der Sendung kamen nicht nur Passanten zu Wort: Gespräche über Fahrraddesign und Werkstatterfahrungen, Stunt Bikes und die Idee einer Fahrradschnellstraße zwischen Halle und Leipzig folgten.
Der Ruf nach Ordnung und Strafe auf Corax?
Ich finde das Thema ansich sehr interessant und relevant: Fahrradfahren in Halle. Ich fahre selber täglich durch die Stadt per Rad und kenne die Probleme gut. Oft genug ärgert man sich über fehlende Radwege, verpeilte Fussgänger, die einem vors Rad rennen ohne zu schauen oder Autofahrer, die einem die Vorfahrt nehmen etc… Aber genauso (oder eigentlich viel mehr) regt es mich auf, dass es so dermaßen normal geworden ist, dass man von irgendwelchen selbst ernannten AktivbürgerInnen und Privatsheriffs für irgendwelche angebliche verkehrgefährdende Vergehen angepflaumt wird oder gar gleich die Polizei gerufen wird (Ist mir schon passiert). Aber auch jenseits vom Radfahren und Straßenverkehr greift dieser zwischenmenschliche Umgang, so meine Wahrnehmung, immer mehr um sich. Ich weiss nicht, wie oft ich in letzter Zeit wegen irgendwelchem nonsens in der Öffentlichkeit angegangen wurde (von jung und alt gleichermaßen wohlgemerkt). Ich finde das eine absolute kleinkarierte, engstirnige Denke, die offenbart, dass die Leute nicht in der Lage und willens sind sich mit ernsthaften aktuell relevanten Fragen und Problemen auseinanderzusetzen oder gar eine politische Perspektive zu entwickeln, sondern ihre Verunsicherung rechthaberisch an Anderen auslassen und diese im Zweifelsfall gar an eine Kontrollautorität denunzieren und nach Ordnung und Strafe rufen.
Und was hat das mit der Sendung zu tun?
Ich finde es sehr merkwürdig bzw. höchst fragwürdig ein Projekt unkommentiert vorzustellen, bei dem es darum geht, dass man als RadfahrerIn andere Mitmenschen öffentlich anprangern und ihre „Vergehen“ anzeigen soll. Für mich schlägt das in die selbe Kerbe, wie oben Beschriebenes. Ich finde es durchaus problematisch für die schwierige Verkehrssituation in Halle als Lösung das vorgestellte Projekt (http://halle-verkehrt.de/) heranzuziehen und bei Corax vorzustellen. Ich hätte mir zumindest eine kritsische Nachfrage oder Auseinandersetzung dazu gewünscht, ob das der Weg ist, verkehrspolitisch/stadtentwicklungsmäßig in dieser Stadt irgendwas zu ändern oder was es denn eigentlich bräuchte um eine lebenswertere, umweltfreundliche was auch immer Stadt zu fordern und zu realisieren.
Eine ständige Hörerin
Die Seite Halle-Verkehrt.de behandelt Stellen, wo Radverkehr behindert und gefährdet wird. Da geht es gar nicht um Falschparker, sondern um Stellen, die von der Stadtverwaltung mehr oder weniger einfach korrigiert werden können. Einfach mal auf der Karte ein paar Beispiele anschauen, davon bekommt man nicht gleich Pickel.
Ich und andere haben vorher verschiedene Möglichkeiten des Dialogs gesucht und sind dort nicht weiter gekommen. Wir hoffen immer noch, dass wir ab einem bestimmten Punkt einen konstruktiven gemeinsamen Weg mit der Stadtverwaltung finden. Allerdings nicht, so lange es unterhalb der rechtlichen Mindestanforderungen läuft.
Die erste bundesweite Falschparkeraktionswoche war auch von mir inittiiert, das stimmt.
Den Vorwurf, das ganze undurchdacht quasi als Krawallbruder ausgerufen zu haben, oder nur in Blockwartmentalität, den kann ich aber ganz klar von mir weisen. Das eigentliche Ziel ist nicht, dass Bürger sich gegenseitig anzeigen (dazu ist die Zeit eigentlich viel zu schade!), sondern Ziel ist, von den extrem niedrigen Bußgeldern und der extrem seltenen Verfolgung dieser Probleme wegzukommen.
Auch mir ist eine Stadt deutlich lieber, wo man sich gelegentliches Fehlverhalten gegenseitig entschuldigt und wo man in Ausnahmesituationen auch mal gegen die Regeln verstoßen kann. Ich mag die Länder, wo man auch über rote Ampeln gehen kann, wenn die Straße frei ist. Irgendein Ordnungsfanatismus liegt mir wirklich fern (wie auch den anderen Machern der Wegeheld-App). Der Spaß hört aber komplett auf, wenn Autos dabei immer wieder „noch schnell“ über Ampeln rasen, die für Fußgänger bereits grün zeigen. Das liegt daran, dass in dem Fall Menschenleben gefährdet werden, nicht an irgendeiner abstrakten Ordnung.
Bei Falschparkern geht es nicht um Ausnahmesituationen. Jede Nacht stehen in Halle ein paar tausend Autos mehr, als überhaupt reinpassen, und diese werden systematisch auf Kreuzungen, Radwegen und Fußwegen abgestellt.
Da geht mehreres komplett schief: es ist extrem asymmetrisch, ich sehe nie Grüppchen von Fußgängern mal eben einen Plausch auf der Fahrbahn machen. Nie Fahrräder mitten auf der Fahrbahn abgestellt, so dass die Autos umständlich drumrum fahren müssen, nachdem sie vorher komplett ausgebremst wurden.
Selbst wenn mal zwei Radfahrer nebeneinander fahren (was nun wirklich kaum eine Verzögerung für die Autos bedeutet), wird sofort aggressiv gehupt, eng überholt und geschimpft. Probier es einfach mal aus! Diese eingeforderte Gelassenheit und das Zurückstecken ist also nur von einer Seite gefordert.
Es ist ein klares Machtverhältnis, dass da ausgelebt wird – die reine physische Übermacht des Autos entscheidet, wer wem den Platz wegnehmen darf. Es ist eine starke Subventionierung der Autos, denn für die zerstörten Wege bekommt die Stadt keinen Pfennig.
Es ist extrem unsozial. Diejenigen, die ohne Auto klarkommen (müssen), sind auf Fuß- und Radwege angewiesen. Müttern und Vätern mit Kinderwagen, aber auch Rollator oder Rollstuhlfahrern wird das normale Vorankommen erschwert und behindert.
Und die Gefahr, z.B. weil Rettungswagen und Feuerwehr nicht mehr durchkommen, ist ebenfalls real.
Der andere Teil ist egoistische Rücksichtslosigkeit, wie vor der berüchtigten Reinigung am Reileck oder anfangs am Bäcker am Steintor. Da wird die eigene Bequemlichkeit über alle anderen Leute gestellt, die da vorbeimüssen.
Das kann man irgendwie versuchen, sich schön zu reden.
Ein bisschen länger hab ich dazu in einem Interview mit einer Onlinezeitung geschrieben:
https://mobilitymag.de/marco-gergele-falschparker-aktionswoche/